Arschloch macht Karriere
Diese Geschichte war, als Rainer sich von Michael bezüglich der Single begeistern ließ, schon lange vergessen. Da allerdings Michael Rainers lyrisches Talent kannte, bat er ihn, einen Text für die Single zu schreiben. Da war Rainer endlich wieder in seinem Element. Er schrieb innerhalb kürzester Zeit an die zwanzig Songtexte und übergab sie Michael. Der sichtete die Texte und gemeinsam entschieden sie sich schließlich für „Und du sagst“ und „Arschloch“. Der Text von „Und du sagst“ handelt von einem gemeinsamen Freund, der seiner Freundin schon mehrmals angedroht hatte, sich umzubringen, wenn sie ihn verlassen sollte und von ihrer Angst, ihn eben darum zu verlassen.
In „Arschloch“ versuchte Rainer seine Erfahrungen mit seiner inneren Zerrissenheit und seiner Umwelt zu thematisieren und zu verarbeiteten. Beide Texte fand Michael so gut, dass er eine Weile brauchte, um sich zu entscheiden, welcher die Single-A-Seite werden sollte. Da sich Michael mit dem Text von „Arschloch“ auch identifizieren konnte und diesen noch provokanter als „Und du sagst“ fand, wurde er zur A-Seite erkoren. Nun stand der Aufnahmesession nichts mehr im Weg. Sie mieteten sich für zwei Tage in dem kleinen Kreuzberger Game-Studio am Leuschnerdamm, direkt an der Berliner Mauer, ein und begannen mit den Plattenaufnahmen.
Der Besitzer des Studios war Toningenieur, Tonmeister und Studioarbeiter in einer Person und half den beiden, wo er konnte. Michael spielte, da sie noch keinen Schlagzeuger hatten, neben der Baßgitarre auch den Schlagzeugpart ein, er war in dieser Beziehung ein wahres Multitalent. Herb Mau, ein Freund der beiden, übernahm die Sologitarre und Rainer den Gesang.
Dass Rainer beim Singen allerdings soviel Wut und Aggression rauslassen würde, hatte der Macher des Aufnahmestudios nicht gedacht. Rainer brüllte sich förmlich die Seele aus dem Leib. Voller Schreck unterbrach der Studiohausherr gleich Rainers ersten Gesangsversuch, da er Angst um seine empfindlichen und wertvollen Mikrophone hatte. Anschließend unterwies er ihn erstmal freundlich im richtigen Umgang mit den teuren und hochsensiblen Geräten.
Als der Song „Arschloch“ schließlich fertig war, dröhnte er, wie der Game-Studio Besitzer meinte, unglaublich hart und aggressiv aus den Lautsprecherboxen. Selten hatte er so etwas gehört. Aber auch der zweite Song „Und du sagst“ fand nach Fertigstellung bei allen Beteiligten großen Anklang. Bei beiden Songs passten Text, Stimme und Musik so hervorragend zusammen, dass dies schließlich dazu führte, dass die fertige Single doch erst einmal als Doppel-A-Seite deklariert wurde.
Michael und Rainer waren von beiden Stücken so begeistert, dass sie sich auf einmal nicht mehr für eine der beiden Seiten als A-Seite entscheiden konnten. Schlussendlich setzte sich dann aber „Arschloch“ als A-Seite durch. Der Text hatte einfach mehr Pfeffer.
Soweit die Füße tragen
Als die Schallplatte fertig abgemischt und schließlich ein paar Wochen später in Vinyl gepresst war, ging es darum, sie im Eigenvertrieb unters Volk zu bringen. Als erstes bekamen die Musikredaktionen der Berliner Rundfunksender die Platte überreicht. Dann klapperten Michael und Rainer in jeder freien Minute sämtliche Berliner Plattenläden ab und boten ihre Single an. Die meisten Läden kauften ihnen einige Exemplare ab oder nahmen sie zumindest in Kommission, obwohl die Konkurrenz damals sehr groß war.
Viele andere Bands, insbesondere in Berlin, hatten sich zu Beginn der 1980er Jahre entschlossen, Schallplatten zu veröffentlichen. Deshalb waren manche Plattenverkäufer leicht genervt, wenn schon wieder eine Band den Laden betrat, um ihr Produkt anzubieten.
Aber, wie die beiden bereits nach wenigen Tagen erfreut feststellen konnten, fand die Single reißenden Absatz. Nach nur einer Woche waren bereits über die Hälfte der Platten verkauft und schon in der zweiten Woche waren die eintausend Exemplare restlos ausverkauft. Ohne Werbung und ohne bis dahin im Rundfunk gespielt worden zu sein, hauptsächlich durch Mundpropaganda.
Arschloch stürmt Clubs, Charts und Herzen
Allerdings dürfte zum Verkaufserfolg der Single auch beigetragen haben, dass der Titel „Arschloch“ sehr erfolgreich in etlichen Clubs und Diskotheken gespielt wurde. Und die beiden „Eleganten“ hatten es oft schon selbst erlebt, wie sich die Tanzflächen füllten, wenn „Arschloch“ aufgelegt wurde.
In der Folge wurde schließlich auch der Rundfunk auf die Band aufmerksam. Die Macher vom RIAS-Treffpunkt und vom SFBeat, die ihre Ohren stets nah am jugendlichen Publikum hatten, meldeten sich fast zeitgleich bei der Band, um sie ins Radiostudio einzuladen.
Der zu jener Zeit bereits schon weit über die Berliner Stadtgrenzen hinaus bekannte SFB- Rundfunkmoderator Jürgen Jürgens war der Meinung, es wäre jetzt endlich an der Zeit, die Platte zu spielen. Er bezeichnete den Titel „Arschloch“ ironisch als „überaus rundfunktauglich“ und schickte ihn über den Äther.
Die Moderatoren vom RIAS-Treffpunkt meinten augenzwinkernd, sie gefährdeten mit dem Song höchstwahrscheinlich ihre Karrieren, würden ihn aber trotzdem spielen. Zuvor hatte schon Gregor Rottschalk vom RIAS die Scheibe einfach so, ohne vorher reingehört zu haben, auf den Plattenteller gelegt. Beim „Stichwort“ fuhr ihm dann allerdings ein ziemlicher Schreck durch die Glieder und er überlegte einige Sekunden, ob er den Song ausblenden sollte. Er tat es nicht und spielte die Platte bis zum Ende aus.(10)
Die Redakteure der Jugendsendungen vom RIAS und vom SFB zeichneten sich damals durch echte Coolness aus. Sie waren aktuell, experimentierfreudig und couragiert. Aus diesen Gründen waren sie bei ihrem jugendlichen Publikum auch so überaus beliebt. Es dauerte nicht lange und „Arschloch“ schaffte es auf Platz 3 der Independent Charts, veröffentlicht im Berliner Stadtmagazin TIP.(11)
Die Independent-Charts im TIP waren damals die wichtigste Orientierungshilfe für Schallplattenkäufer, die sich für unabhängige Musikgruppen interessierten.
Diese Hitparade resultierte aus den Verkaufszahlen verschiedener Berliner Plattengeschäfte und war die einzige, die es in dieser Form gab. Zu diesem Zeitpunkt bemerkten Rainer und Michael überdeutlich, wie nicht nur das Interesse an der Platte sondern auch an der Band stieg.